Die letzten Tage in Portugal
In Miranda do Douro stehen wir auf einem angenehmen und sehr günstigen Campingplatz. 8 € je Nacht inkl. Strom, Dusche und Hund. Da ist mancher Stellplatz teurer.
Der Campingplatz ist sehr gut gelegen. Am Stadtrand, nur 10 Minuten Fußweg durch die Natur ins Zentrum.
Aber bis dahin schaffen wir es nicht. Ein Gewitter zieht auf.
Das sieht absolut unwirklich und faszinierend aus. Hier noch der strahlende Sonnenschein, dahinter der dunkle, sich beinahe schwarz zuziehende Himmel.
Schnell zurück zum Campingplatz. Einmummeln. Morgen ist auch noch ein Tag. Dann bleiben wir eben noch einen Tag länger hier.
Aber am nächsten Tag steht mir der Sinn so gar nicht nach Stadtbesichtigung. Eigentlich wollte ich ja ganz bestimmt nur 1 Nacht bleiben und dann weiterreisen. Ich hinke dem Zeitplan der Rückreise – so es denn je ernsthaft einen gab – schon gewaltig hinterher.
Aber die Landschaft und der Weg in die andere Richtung vom Campingplatz stadtauswärts sind zu verlockend.
Da geht es in die Natur. Zu den Blumen und Bäumen. Mein letzter Tag in Portugal. Nur noch eine kleine Wanderung bevor ich dieses geliebte Land meines Herzens verlassen muß.
Eine weise Entscheidung. Auf unserem ca. dreistündigen Weg darf ich noch mal das ganze Spektrum dessen, was ich an Portugal so liebe, erleben. Mich noch einmal ganz tief verbinden und berühren lassen.
Alle sind sie noch mal da am Wegesrand, die Mohnblumen und Margeriten, die gelben und lila Wiesenblumen, die vielen vielen anderen Vielfarbigen. Großartige Vielfalt.
Immer wieder habe ich auf der Reise neue Blumen entdeckt, die sich gerade hervortun und öffnen wollen, um sich üppig und prächtig zu entfalten und zu zeigen. Das zieht sich durch die Reise von den ersten zarten Vorfrühlingstagen in der Provence bis jetzt. Und auch heute begegnen mir wieder Blüten, die ich bisher noch nicht gesehen habe. Ist diese Vielfalt der Natur nicht ungeheuerlich?
All diese unterschiedlichen Wesen.
Jedes ein Leben.
So viele unterschiedliche Leben.
Jedes Leben ist einzigartig. Wir sind so viele Lebende hier. Und jedes Leben unterscheidet sich vom anderen. Jeder macht seine eigenen, einzigartigen Erfahrungen. Hat seinen eigenen Lebensverlauf. Kein Leben, das aktuell gerade auf der Erde lebt, ist genau gleich einem anderen Leben und auch nicht identisch mit einem früheren oder zukünftigen Leben. Ist das nicht wirklich wunder-bar?
Auch die Korkeichen und die Olivenbäume sind hier. Diese alten Wesen. Ich werde Euch und Eure spezielle Energie vermissen.
Das wird dauern, bis ich mich wieder in einer Gegend aufhalte, wo diese besonderen Bäume wachsen.
Der Weg führt uns mitten hinein in die bäuerliche Umgebung.
Die Felder und Wiesen sind mit geschichteten Steinmauern eingefasst. Was für eine interessante Arbeit. Wie sich jeder Stein einfügt und seine Berechtigung hat. Egal ob groß oder klein, viereckig oder mehrkantig. Am Ende paßt alles zusammen und ergibt ein Ganzes. Und jeder hat einen gleichwertigen Platz.
Lücken sind auch erlaubt und werden von allen mitgetragen.
Die Mauern sind sehr unterschiedlich. Manche akkurat und gerade, andere grober geschichtet. Aber egal, ob perfektionistisch oder nicht. Jede Mauer ist ok und erfüllt ihren Zweck. Und bietet noch Lebensraum für viele Wesen. Die ungeordneten, lockeren, ein bißchen chaotischen sind dafür sogar besser geeignet.
Es ist heiß heute. Kein Vergleich zur Hitze in Deutschland, da haben wir es hier in Portugal seit Wochen schon viel angenehmer. Warm, aber nicht übermäßig heiß. Meist so um die 20 – 25 Grad. Für uns genau richtig. Aber beim Wandern in der prallen Sonne, sind Finley und ich trotzdem für eine Abkühlung dankbar. In Portugal auf dem Land kann man eigentlich sicher sein, früher oder später an einer Wasserstelle oder einem Trinkbrunnen vorbeizukommen. Genau auf der Mitte der Wanderung warten ein kleiner Bach und ein Wasserbecken auf uns.
Gemächlich und der Wärme angepaßt wandern wir wieder zurück Richtung Campingplatz.
Dabei haben wir einen guten Blick auf Miranda do Douro. Sieht sehr vielversprechend aus. Ich bin schon gespannt. Die Stadt soll sehr hübsch sein.
Der Plan lautet, wir ruhen uns ein Stündchen oder zwei aus und starten dann einen erneuten Versuch zur Stadtbesichtigung.
Ich möchte auch Missy nicht zu lang im geschlossenen Womo lassen. Während Finley und ich uns ausruhen, kann sie auf Entdeckungsreise gehen. Die Gelegenheit nutzt sie gern, aber erst mal interessiert sie sich für meine warmgewanderten Schuhe und die daran klebenden Lehmklumpen. Was Katzen halt so mögen…
Finley fällt sofort in Tiefschlaf. Missy macht sich abenteuerlustig auf den Weg.
Ich bin auch so ein bißchen trandösig nach der Wanderung und bemerke erst spät ein weit entferntes, leise fragendes Maunzen. Missy? „Wo bist Du, Missy?“
Besorgt gehe ich dem Maunzen nach. Ohje, Missy ist außerhalb des Campingplatzes. Hinter dem Zaun. Jetzt aber schnell! „Hierher Missy, am Zaun kommst Du nicht durch. Du mußt ein Stück zurückgehen und dann hier durchs Tor.“ Sie schaut mich an, sie versteht. Zögernd kommt sie den kleinen Weg an den Häusern entlang wieder runter, findet den Eingang durchs Tor und rennt erleichtert vor mir her zu Balthasar. Und ab ins Körbchen. Vorher noch schnell am Futternapf vorbei, nach einem Abenteuer muß man sich ja stärken.
„Super, Finley, jetzt wo Missy wieder da ist, können wir ja noch mal los. Wir wollen ja noch in die Stadt. Miranda do Douro angucken.“ Finley schaut mich entsetzt und ungläubig an. Sein Blick sagt: „Wiiiiir? Wir wollen noch mal los?“ Aber was soll er machen. Er ist der Hund.
Doch schon wieder ziehen bedrohliche Wolken heran.
Es sieht noch extremer und unwirklicher aus als gestern. Die Farben sind total krass. Burg und Kathedrale sind im leuchtendem Hell und dahinter tiefblaues Dunkel.
Vor mir steht ein Hund, der sagt: „Ich gehe keine Pfotenlänge mehr auf diese dunkle unheimliche Wolkenwand zu.“ Hmmmm. „Aber wir wollten doch in die Stadt?“ Wieder dieser entsetzte Blick: „Wiiiiir wollten das nicht!“ Hmmmm. „Okay, wir gehen zurück zum Campingplatz.“
Dann wird das also nix mehr mit Miranda do Douro. Noch einen Tag länger bleibe ich nicht.
Eigentlich ist das ganz passend für die Reisen in meinem Sabatjahr.
Wieviele Städte und Sehenswürdigkeiten habe ich ausgelassen, umfahren, links liegengelassen. „Du mußt unbedingt zu den Plitvicer Seen, wenn Du in Kroatien bist“, „Granada ist ein Muß“, „Sevilla ist sooo schön“, „Porto, unbedingt Porto ansehen“… Und was waren die wirklich erfülltesten Tage der Reisen? Die im vermeintlichen Nichts. Da wo nichts los ist, was nicht mal als Wanderstrecke bekannt ist, wo normalerweise kein Tourist und kaum ein Einheimischer langläuft. Eben in der anderen Richtung vom Campingplatz… Ich kann das nur jedem empfehlen, einfach loszugehen, auch dahin, wo vermeintlich nichts ist und sich mit allen Sinnen einzulassen.
So paßt es dann doch ganz genau, daß ich – obwohl 2 Tage hier – keine einzige Sehenswürdigkeit in Miranda do Douro, weder Burg noch Kathedrale noch sonstwas ansehe, aber trotzdem erfüllt von Eindrücken bin.
Und als wir fast wieder am Campingplatz zurück sind und ich mich noch mal kurz umdrehe, sehe ich ihn: den schönsten Regenbogen, den ich je erlebt habe. Perfekt spannt er sich im Halbrund über der Stadt. Über Burg und Kathedrale. Vielleicht die schönste Art Miranda do Douro zu betrachten.
Ich bin ganz ergriffen.
Dann erscheint auch noch ein zweiter Regenbogen. Fantastisch.
Meine Güte ist das schön.
Danke, danke, danke für diesen wunderbaren Tag und die herrliche Zeit in Portugal.