„Hast Du Lust, heute Nachmittag mit mir zu malen?“, fragte meine Freundin. „Ja, gerne. Ich fahre eben nachhause und hole meine Malsachen hierher.“ Was für eine Freude, daß ich hier einen Raum schaffen darf, wo meine Freundin sich ausprobieren, einen Anfang finden und sich ausdrücken darf.
Ich erinnere mich noch so gut an meine Anfänge. Jahrelang hatte ich Malsachen gekauft und gehortet. Immer in der Sehnsucht. Aber nie habe ich mich getraut, anzufangen. Zu tief verankert war der Glaubenssatz „Ich bringe sowieso nichts zustande. Ich kann das sicher nicht.“ Versagensangst, Selbstabwertung, sich selbst gering schätzen. Kennst Du das auch? Angst vor der Bewertung des Ergebnisses. Auch wenn es nie ein Dritter sehen und bewerten wird, weil man es nie jemandem zeigen wird – es nützt nichts. Unser eigener innerer Kritiker übernimmt das bereitwillig. Und zwar schon bevor der erste Pinselstrich gemalt wurde.
In meinem Umfeld gibt es viele liebe Menschen mit diesem „Ich kann es sicher nicht gut genug“-Syndrom. Wer hat uns das eingetrichtert? Es ist so schade. Soviel nicht gelebte Freude und Kreativität.
Als ich anfing zu malen, war es aus einem Moment tiefen Glücks heraus. Ich wollte dieses Glücklichsein in Farben festhalten. Vorsichtig habe ich mich herangetastet, zaghaft. Und dann hab ich weitergemacht, experimentiert, Erfahrungen gemacht, gelernt, unterschiedliche Techniken ausprobiert, wurde mutiger, sicherer. Und auf einmal wurde mir bewußt, daß das Endergebnis gar nicht mehr das Wichtigste war. Der Malprozeß selbst, die Freude des Tuns, die meditative Versenkung, das Sich-ganz-hingeben, Einssein und bei sich sein, war es, was zählte. Die Möglichkeit, sich auszudrücken und seinem innersten Sein zuzuhören.
Das Malen hat mir Mut fürs Leben gegeben und mir tiefe Lektionen erteilt. Loslassen, sich frei machen von Erwartungen und Bewertungen. Geschehen lassen. Nicht alles vom Verstand steuern wollen. Und doch auch planvoll vorgehen, lenken, korrigieren, nachbessern. Immer wieder neu beginnen zu können. Auch den Mut zu finden, bereits Geschaffenes zu verändern, zu übermalen oder gar zu zerstören, um Neues zu erschaffen. Nicht aufzugeben und sich in seine negative Selbsteinschätzung zurückzuziehen, wenn der Prozeß stockt, sondern zu vertrauen, daß sich ein Bild entwickelt. Ich habe wirklich gelernt in den Malprozeß zu vertrauen und auch – wer hätte das vor einigen Jahren gedacht – mir selbst zu vertrauen. Und in das Leben zu vertrauen.
Ich habe gelernt, daß die Seele in Symbolen spricht, das zu lesen, hervorzuholen und herauszuarbeiten. Das Malen selbst ist mir zum Symbol geworden, wie ich mein Leben gestalten und annehmen kann.
Das darf ich jetzt weitergeben. Anderen die Scheu nehmen, sie ermutigen, Raum schaffen für bewertungsfreie Kreativität.
Jetzt wurden also auch die Farben meiner Freundin, die schon länger in einer Schublade schlummerten, eingeweiht. Wir haben einen wunderbaren Nachmittag und Abend miteinander verbracht, draußen im Schatten der alten Bäume. Voller Freude und Leichtigkeit. Gemeinsam und doch jede in ihrem Tun und ihrem kreativen Prozeß versunken. In Vertrauen zueinander und uns selbst.