Großer Kraftort, ersehntes Pilgerziel, tiefe Volksfrömmigkeit, Rituale und Kommerz
Fatima ist all das und noch mehr…
Der zweite große Marienwallfahrtsort – neben vielen kleineren – auf dieser Reise.
Hier wie dort ein ländliches Nichts, Hirtenkinderchen und Marienerscheinungen mit der Bitte, für den Frieden zu beten.
Und doch so ganz, ganz anders. Der eine Ort klein, versteckt im Wald. Einfache kleine Holzkirchen, kaum touristisch, nur wenige Geschäfte mit Devotionalienhandel.
Fatima ist da eine ganz andere Hausnummer.
Allein schon der Hauptplatz hat riesige Ausmaße. Deutlich größer als der Petersplatz in Rom. Hunderttausende Pilger gleichzeitig soll er fassen. Schier endlos ist dieser Raum.
Die Kirche am Ende des Platzes ist wirklich groß und hoch. Aber vor den Dimensionen dieses Platzes wirkt sie trotz ihrer Anbauten zierlich.
An der gegenüberliegenden Seite wurde die Dreifaltigkeitskirche neugebaut. 9.000 Gläubige je Messe sind möglich.
Diese Größe macht was mit dem Menschen. Er fühlt sich klein. Vor dem Hintergrund, daß Kirche ja auch immer was mit Machtstrukturen zu tun hat, ist das sicher – neben allen praktischen Gründen – auch nicht unbeabsichtigt.
Andererseits wer sind wir vor der Unendlichkeit des Universums…
Jedenfalls kann ich mich der besonderen Atmosphäre dieser Weite und Leere nicht entziehen. Wenn man sich darauf einläßt, wird man wie am Meer und in den Bergen mit sich selbst konfrontiert. Und mit der Energie des Lebens.
Ich hatte nicht erwartet, daß dieser Ort mich so tief bewegt und noch einmal ein Stück weiter öffnet.
Noch ist es hier sehr ruhig. Viel Freiraum und Stille.
Aber von überall her wandern die Pilger schon durchs Land auf Fatima zu. Man muß vorsichtig fahren. Immer mit Pilgern am Straßenrand oder auch mitten auf der Straße rechnen. Zum Glück tragen die meisten inzwischen leuchtend gelbe Warnwesten auf ihrem langen, beschwerlichen Fußmarsch. Viele sind in Gruppen unterwegs. Halten sich an den Händen oder stützen sich, teilen ihr Wasser und versorgen die Blasen an den Füßen. Wanderschuhe sehe ich kaum, manchmal Turnschuhe, meist normale Alltagskleidung. Die meisten sind einfach losgegangen von ihrem Zuhause irgendwo in Portugal, um am 13.5. dem ersten Erscheinungstag und wichtigsten Pilgertag in Fatima anzukommen.
Und wenn sie endlich den großen Platz erreichen, dann fallen sie auf die Knie und rutschen – trotz Erschöpfung nach tagelangem Gehen, oftmals gestützt von Angehörigen und inzwischen auch von ihnen per Handy gefilmt – auf Knien zur Kirche. Für dieses Ritual gibt es eine eigene Spur auf dem großen Platz, der nur für die Knierutscher reserviert ist.
Fatima war ein Dorf, dann eine Kleinstadt. Inzwischen schon darüber hinausgewachsen. Auf jeden Einwohner kommt noch mindestens ein Hotelbett. Aleluja-Hotel heißt eines.
Der Devotionalienhandel blüht in Fatima. 40, 50 Geschäfte oder waren es noch mehr, die ich gezählt habe?
Alles Mögliche gibt es hier von Kreuzen, Kerzen, Marienanhängern bis überlebensgroßen Holzstatuen. Jeder nimmt was mit. Auch ich. Ein Riesengeschäft.
Und noch eine Besonderheit gibt es in Fatima. Auch dies Ausdruck tiefer Volksfrömmigkeit und gleichzeitig sehr befremdend für mich.
Man kann hier Wachskörperteile kaufen. In den Körben liegen Beine, Arme, Hände, Rümpfe, Organe und auch Babys.
Diese werden kriechend und betend hochgehalten und später in einer großen Feuerstelle verbrannt, damit Gott oder Maria oder einer der Engel auch genau weiß, wo es weh tut, was Kummer bereitet und mit welchem Anliegen man pilgert.
Befremdlich ja. Aber ist es an mir, darüber zu urteilen? Ich glaube an die Kraft der Rituale. Das Visualisieren. Sichtbarmachen. Fokussierung. Energielenkung. Beten. Sich verbinden mit allem was ist. Ich glaube an Heilung auf solchen Wegen. Viele wunderbare Heilungen haben sich zu allen Zeiten ereignet.
Trotzdem würde ich mir kein Bein kaufen. Oder Herz. Es ist nicht mein Weg. Aber deswegen ist er weder richtig noch falsch, weder bewunderns- noch verachtenswert.
Ich zünde Kerzen an. Ist das so viel anders? Ich glaube an das Licht.
Auch das ist natürlich in Fatima Geschäft. Ich realisiere das durchaus. Die Kerzen hier haben so eine eigentümliche Farbe, weil das Wachs aufgefangen und wieder und wiederverwendet wird. Ökologisch sinnvoll, hält den Preis niedrig, 0,50 € für durchaus stattliche Kerzen, günstiger als in vielen anderen Kirchen. Und doch vermute ich, daß da noch ausreichend Gewinnmarge ist.
Am Abend findet eine Prozession statt. Ich liebe das Ritual wie jeder seine Kerze an der des anderen anzündet. Wie das Licht von einem zum anderen weitergegeben wird und sich ausbreitet.
In Banneux hat diese zweite Reise begonnen, in Fatima endet sie fast nach all den Monaten. Naja, nicht ganz, ich hab ja noch die Wochen der Rückreise, aber es sind schon zwei Enden einer Schnur, auf die sich die schönen Erlebnisse, glücklichen Momente und herzlichen Begegnungen wie wertvolle Perlen aufreihen.
Ein Augenblick, um innezuhalten, demütig und tief dankbar zu sein.